Interview mit Antonella Di Pizio (Stand 2020)

Zur Person

Assoz. Prof. Dr. Antonella Di Pizio, Jahrgang 1984, studierte Pharmazeutische Chemie und Technologie an der University of Chieti, Italien. Ihren PhD „Doctor Europaeus“ im Bereich Drug Design erwarb sie ebenfalls an dieser Universität. Nach einem kurzen Forschungsaufenthalt an der Philips-Universität in Marburg arbeitete sie von 2013 bis 2018 als Postdoc an der Hebrew University of Jerusalem in Israel. Seit 2018 leitet sie am Leibniz-Institut die Arbeitsgruppe Molecular Modeling (ehemals Computational Pharmacology). Seit 2023 ist ihre Stelle am Leibniz-Institut mit einer Associate Professorship for Chemoinformatics and Protein Modeling at the Department of Molecular Life Sciences at the School of Life Sciences verbunden.

Auszeichnungen

Assoz. Prof. Dr. Antonella Di Pizio hat zahlreiche Auszeichnungen für ihre Forschungsarbeiten erhalten, darunter den Bernardo Nobile Doctorate Award (2013), das Keystone Symposia Future of Science Fund Stipendium (2017) sowie den Platinum Manfred Rothe Excellence Award in Flavor Research (2019). Zudem ist sie eine der Preisträgerinnen des Leibniz Best Minds-Programms für Professorinnen im Jahr 2022.

Sie haben Pharmazeutische Chemie in Italien studiert, gefolgt von einem PhD und einem Postdoc in Israel. Wie sind Sie nach Freising/Deutschland und ans Leibniz-LSB@TUM gekommen?

Während meiner Postdoc-Zeit habe ich damit begonnen, Bitterrezeptoren zu untersuchen. Meine Arbeit fokussierte sich hierdurch immer mehr auf das Gebiet der chemischen Sinne und das Thema, wie wir den Geschmack von Lebensmitteln wahrnehmen. Auf molekularer Ebene ist dies ein komplexer und faszinierender Prozess mit vielen offenen Fragen. Ich bin überzeugt, dass computergestütztes, molekulares Modellieren dazu beitragen kann, einige dieser Fragen zu beantworten. Das Leibniz-Institut ist der beste Ort, um an diesem Thema zu arbeiten. Deshalb freue ich mich, hier zu sein.

Was war für Sie die größte Veränderung im Bereich der Forschung und im Alltag?

Ich habe nun eine neue Rolle und mehr Verantwortung, und das hat natürlich den täglichen Ablauf meiner Forschung verändert. Im Vergleich zu meiner PhD- und Postdoc-Zeit bin ich wissenschaftlich unabhängiger geworden, und die Herangehensweise an neue Projekte hat sich verändert. Zurzeit gestalte ich eher die Projekte. Ich muss darüber nachdenken, wie ich meine Ideen in Förderanträge umsetze, um eine Finanzierung zu erhalten, und wie ich sie in die Tat umsetzen kann. Außerdem muss ich überlegen, wie ich Projekte mit meinen Kolleginnen und Kollegen koordinieren kann.

Am Leibniz-LSB@TUM sind Sie für die Arbeitsgruppe Molecular Modeling (ehemals Computational Pharmacology) verantwortlich. Was bedeutet das genau?

Das Hauptziel von Sektion III besteht darin, die Daten zu analysieren, die im Labor produziert wurden, und diese Informationen dazu zu nutzen, Vorhersagemodelle zu erstellen. Unter diesem übergeordneten Rahmen untersucht meine Gruppe lebensmittelrelevante Moleküle und deren Interaktionen. Meine Arbeitsgruppe ist relativ neu am Institut und es ist wirklich aufregend, sie aufzubauen. Es ist auch großartig, mit anderen Gruppen am Institut auf interdisziplinärer Ebene zusammenarbeiten.

Welche Instrumente setzen Sie ein, um im Rahmen Ihrer Forschung Daten zu erzeugen und zu evaluieren?

Ich verwende verschiedene Instrumente. Das Grundprinzip meiner Arbeit ist die Umwandlung chemischer Strukturen in Zahlen. Dies ermöglicht eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten: Wir können untersuchen, wie chemische Veränderungen bestimmte Aktivitäten beeinflussen oder wie kleine Moleküle, wie z. B. Duft- oder Geschmacksstoffe, mit Zielproteinen interagieren oder sogar Proteine in Bewegung simulieren.

In einem neuen Projekt in Zusammenarbeit mit Partnern aus Israel haben Sie hocheffektive Aktivatoren für den Bitterrezeptor TAS2R14 entwickelt. Was war der Zweck dieser Arbeit? Und was werden die nächsten Schritte sein?

Diese Arbeit verfolgte zwei Ziele. Das erste Ziel bestand darin, eine Wissenslücke in der Welt des Bitteren zu schließen: Bei keinem der bekannten Bitterstoffe – nicht einmal den besonders bitteren – handelt es sich um hochwirksame, d. h. potente Agonisten, wenn man sie mit den Aktivatoren vieler anderer G-Protein-gekoppelter Rezeptoren vergleicht, z. B. mit Neuropeptiden. Das zweite Ziel war ein rein methodisches: Computergestützte Verfahren, wie etwa ‚molekulares Docking‘, sind auf Bitterrezeptoren nur begrenzt anwendbar, da aus experimentellen Untersuchungen, wie z. B. Röntgenstrukturanalysen, keine Strukturdaten verfügbar sind. Wir haben eine erfolgreiche Strategie entwickelt, um diese Einschränkungen zu überwinden, und wir konnten belegen, dass Docking-Simulationen verwendet werden können, um neue TAS2R-Liganden zu synthetisieren, welche potenter sind als altbekannte Bitterstoffe. Das von uns entwickelte Berechnungsprotokoll kann nun für virtuelle Screeningsversuche eingesetzt werden, um neue potente Modulatoren für Bitterrezeptoren zu identifizieren.

Was sind Bitterstoffe? Zeichnen sie sich nur durch ihren bitteren Geschmack aus oder steckt mehr dahinter?

Es geht um viel mehr als nur um den Geschmack. Aber es ist kompliziert. Der bittere Geschmack wurde immer schon mit Giftigkeit assoziiert. Wir wissen jedoch, dass viele toxische Verbindungen nicht bitter sind, und umgekehrt, dass auch nicht jeder Bitterstoff giftig ist. Für einige Bitterstoffe vermutet man, dass sie sogar gesundheitliche Vorteile, wie etwa Schutz bei einer Chemotherapie bieten, oder dazu beitragen können, das Krebsrisiko zu reduzieren. Es wären also zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für solche Moleküle denkbar!

Wie schaffen Sie den Balanceakt zwischen Familie und Wissenschaft? Was raten Sie anderen Eltern, die eine wissenschaftliche Laufbahn verfolgen?

Es ist nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Die kurze und naheliegende Antwort ist, dass ein unterstützender Partner und eine punktgenaue Organisation eine große Rolle dabei spielen, diesen Spagat zu bewältigen. Außerdem unterstützt mich das Institut durch flexible Arbeitszeiten, sorgfältig geplante Arbeitsbesprechungen und sein volles Verständnis für die Herausforderungen, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit sich bringt. Doch die Forschungsarbeit erfordert viel Einsatz – es ist schwierig, sie zeitlich und räumlich zu begrenzen. Und Mutter zu sein – nun ja, das ist eine Verpflichtung fürs Leben! Meiner eigenen Erfahrung nach bin ich seit der Geburt meines Sohnes als Forscherin viel fokussierter und produktiver. Ich weiß, dass meine Zeit kostbar ist, und ich nutze sie bestmöglich. Meine Arbeit macht mich glücklich und zufrieden und ich bin überzeugt, dass mich das wiederum zu einer besseren Mutter macht!

Wer ist Ihr Vorbild und wie prägt oder beeinflusst Sie Ihr Vorbild?

Ich habe nicht wirklich ein Vorbild, aber ich habe sehr viel Glück, großartige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die wunderbare Menschen sind, in meinem Umfeld zu haben. Ich versuche, ihnen nachzueifern und der Wissenschaft mit Liebe und Leidenschaft nachzugehen. Aber vor allem sollte man die Wissenschaft als Gemeinschaftsleistung betrachten. Ich muss sagen, dass ich am Leibniz-LSB@TUM viele dieser Vorbilder gefunden habe!

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Ich habe ganz viele Ideen und Pläne. Ich würde sagen, sie alle beziehen sich auf mein Ziel, meine Gruppe wachsen zu sehen und mit unseren Forschungsergebnissen dazu beizutragen, die Gesundheit und den Lebensstil der Gesellschaft zu verbessern.