Interview mit Dr. Melanie Köhler

Zur Person

Melanie Köhler, Jahrgang 1988, ist im Landkreis Rosenheim aufgewachsen und erhielt ihr Ingenieur-Diplom (Master of Science) an der Fachhochschule Oberösterreich, Campus Linz, Österreich im Bereich „Medical Engineering“. Ihren Doktortitel erwarb sie mit einer Arbeit zum Thema: „Single molecular binding studies of purine nucleotides to mitochondrial uncoupling proteins explored by recognition imaging and force spectroscopy“ an der Johannes Kepler Universität, am Institut für Biophysik, Linz, Österreich. Danach wechselte sie Ende 2016 an die UCLouvain in Belgien, wo sie als Postdoc tätig war und  untersucht hat, über welche molekularen Mechanismen verschiedene Virenarten an die Oberfläche von Zellen binden. Seit Juni 2022 leitet sie die Nachwuchsgruppe Mechanoreceptors am LSB.

Was hat Sie dazu bewogen, Diplom-Ingenieurin zu werden? Und warum haben Sie hierzu in Österreich studiert und promoviert?

Schon während meiner Schulzeit war ich sehr an Naturwissenschaften interessiert und habe auch mein Fachabitur im technisch-naturwissenschaftlichen Zweig an der Fachoberschule Rosenheim absolviert. In Kombination mit meinem Interesse an den Gesundheitswissenschaften war das Bachelorstudium der Physikalischen Technik an der Fachhochschule Zwickau und später das Masterstudium der Medizintechnik mit dem Ziel Diplom-Ingenieurin die perfekte Wahl. Für mein Masterstudium und die anschließende Promotion hat es mich nach Linz, Österreich verschlagen, da dort das Studienangebot herausragend war und der Ruf der Bildungs- und Forschungseinrichtungen hervorragend ist.  

Sie haben sich von Anfang an auf die biologische Rasterkraftmikroskopie spezialisiert. Was ist das Besondere an dieser Art Mikroskopie?

Rastertunnelmikroskope können nur elektrisch leitfähige Materialien abbilden. Diese Einschränkung gilt nicht für Rasterkraftmikroskope, die im Englischen Atomic Force Microscope oder kurz AFM heißen. Dies macht sie so besonders. Messungen können bei unterschiedlichen Temperaturen oder in äußeren Magnetfeldern durchgeführt werden, den Möglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt. Das ist vor allem für biologische Anwendungen vorteilhaft, da Proben in einer naturähnlichen Umgebung untersucht werden können.

Wie genau funktioniert diese Art der Mikroskopie?

Das Prinzip eines AFMs ist denkbar einfach. Im einfachsten Fall liegt die Sonde auf der Probe wie die Nadel eines Schallplattenspielers auf einer Schallplatte. Die Sonde ist am Ende eines Federbalkens befestigt. Wenn die Sonde über das Oberflächenrelief einer biologischen Probe rastert, werden die winzigen Auslenkungen des Federbalkens mit einem Laserstrahl detektiert. Aus der Auslenkung des Federbalkens werden dann die mikroskopischen Bilder rekonstruiert. Durch die verschiedenen „Tastsinne“ des Rasterkraftmikroskops können neben der Topografie einer Oberfläche auch diverse Probeneigenschaften vermessen werden, beispielsweise die mechanische Härte, Elastizität oder Adhäsion, das heißt, die „Klebrigkeit“ einer Probe und Einiges mehr.

Wozu verwenden Sie das AFM?

In meiner Forschungsgruppe verwende ich das Mikroskop nicht nur zum „Sehen durch Tasten“, sondern auch als „Angel“, um „Moleküle zu fischen“. Mit Hilfe spezieller Polymerketten können einzelne Moleküle bis hin zu Viren oder Zellen an die Messpitze befestigt werden, die als Köder für andere Moleküle, wie zum Beispiel Rezeptoren dienen, die auf der Oberfläche einer zu untersuchenden Zelle sitzen.  Mit Hilfe des AFMs kann ich dann die Bindungsenergie und die Wechselwirkungen zwischen „Köder“ und „geangeltem Molekül“ erforschen und so Aussagen über deren Wirkungsmechanismus treffen. Ebenfalls benutze ich den Federbalken, um mechanischen Druck auf Zellen auszuüben und auf diese Weise Mechanorezeptoren, die u.a. in der Vermittlung unseres Mundgefühls beim Kauen von Lebensmitteln involviert sind, zu aktivieren und deren zelluläre Signalantwort zu studieren. Mittlerweile, durch jahrelange Weiterentwicklungen, können einzelne Atome abgebildet und Bindungskräfte im Pico-Newton Bereich gemessen werden.  

Nach Ihrer Promotion sind Sie nach Belgien an die UCLouvain und dort ans Institut für Biomolekulare Wissenschaft und Technologie (LIBST) in das Nano-Biophysik Labor gegangen. Was hat Sie zu diesem Schritt bewegt?

Um meine akademische und persönliche Weiterentwicklung voranzutreiben, wollte ich nach meiner Promotion gerne ins nicht-deutschsprachige Ausland. Ich habe die steile und erfolgreiche Karriere meines jetzigen Chefs, Prof. Dr. David Alsteens, seit Anfang meiner akademischen Laufbahn verfolgt. Als er dann Anfang 2016 nach einem 2-jährigen Forschungsaufenthalt an der ETH Zürich an die UCLouvain zurückkehrte, und sein eigenes Team aufgebaut hat, habe ich die Chance ergriffen und mich beworben.

Seit Beginn meiner wissenschaftlichen Karriere vor nun mehr 10 Jahren hatte ich das riesengroße Glück, zwei großartige Mentoren zu haben, die mich unermüdlich gefördert, motiviert und geleitet haben, und mir immer mit Rat und Tat zur Seite standen. Ohne meinen Doktorvater, Prof. Dr. Peter Hinterdorfer, und Prof. Dr. David Alsteens wäre ich nicht die Wissenschaftlerin, die ich heute bin.

Haben Sie für Ihre Forschungsarbeiten ein Stipendium erhalten?

Ja, dank der Unterstützung meiner beiden Mentoren, habe ich zunächst ein dreijähriges Auslands-Forschungsstipendium des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF erhalten, das sogenannte Schrödingerstipendium, um meine Karriere als Postdoc zu starten. Seit Ende 2020 bin ich Empfängerin des renommierten Postdoc-Forschungsstipendiums des belgischen Wissenschaftsfonds Fonds de la Recherche Scientifique, um meine Arbeit über die Interaktionen zwischen Viren und Zelloberflächen-Rezeptoren fortzusetzen.

Wie sind Sie auf die innovative Idee gekommen, Biophysik mit Lebensmittelwissenschaften zu kombinieren?

Meiner Meinung nach braucht es neben Ehrgeiz, Motivation, Kollaboration, Führung und Teamwork innovative und manchmal auch unkonventionelle Ideen, um eine erfolgreiche, akademische Laufbahn einzuschlagen und einen „Fußabdruck“ zu hinterlassen. Das Streben nach einer Habilitation und späteren Professur in einem hart umkämpften Feld der Lebenswissenschaften, damit meine ich den Schwerpunkt Biophysik, zusammen mit meinem persönlichen Interesse an einer gesunden Ernährung, nachhaltig produzierten Lebensmitteln sowie den Auswirkungen der Nahrungsauswahl auf die Umwelt, hat mich auf die Idee gebracht, Rasterkraftmikroskopie und andere biophysikalische Methoden mit lebensmittelchemischer Forschung zu kombinieren. Insbesondere, um die bisher praktisch unerforschten, molekularen Mechanismen zu ergründen, die die Texturwahrnehmung und somit das Mundgefühl eines Nahrungsmittels bestimmen.

Welche Forschungsthemen standen für Sie während Ihrer Postdoc-Zeit im Fokus? An was haben Sie konkret gearbeitet und was war Ihr interessantestes Ergebnis?

Nicht nur die momentane globale Lage, sondern auch ein Großteil meiner Postdoc-Zeit steht ganz im Fokus der Viren. Bevor ein Virus in die Wirtszelle eindringen und sich reproduzieren kann, muss er an die Zelle „andocken“. Ich untersuche hierbei mit Hilfe des AFMs die virusspezifischen Zellrezeptoren, die in diesen Prozess involviert sind und mit welchen Molekülen das Andocken an die Wirtszelle verstärkt oder inhibiert werden kann. Im Falle der Reoviren ist beispielsweise ein stärkeres, vermehrtes Andocken an die Zelle erwünscht, da diese Viren onkolytische, das heißt, krebstötende Eigenschaften besitzen. Hier haben wir zum Beispiel herausgefunden, dass Sialinsäure-Moleküle das Anhaften dieser Viren verstärken, wodurch Krebszellen effizienter getötet werden. Erste klinische Studien sind bereits vielversprechend. Die Methodik haben wir patenrechtlich schützen lassen. Im Falle von Coronaviren haben wir die biophysikalischen Eigenschaften der Wechselwirkung zwischen deren Spikeprotein und dem spezifischen ACE2-Rezeptor untersucht. Basierend auf diesen Ergebnissen haben wir spezielle Peptide designt, die das Anhaften der Coronaviren an die Zelloberfläche hemmen.

Sie haben nun mit Hilfe des Leibniz-Förderprogramms „Leibniz-Junior Research Group“ die Möglichkeit erhalten, nach Deutschland zurückzukehren und eine eigene Nachwuchsgruppe am LSB aufzubauen. Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe die Arbeit der Leibniz-Institute, speziell des LSB, in den letzten Jahren mit großem Interesse verfolgt. Nicht zuletzt auch, weil es immer mein Ziel war, zurück nach Deutschland zu kommen und dort wissenschaftlich Fuß zu fassen. Idealerweise im Süden, in der Nähe meiner Heimat und Familie. Zudem sind der Wissenschaftsstandort und die Infrastruktur am Campus Weihenstephan der Technischen Universität München außergewöhnlich. Als ich dann im Juli 2020 den Leibniz Call auf Twitter entdeckte, habe ich meine Chance genutzt und ganz unverblümt die Direktorin des LSB, Prof. Dr. Veronika Somoza, kontaktiert. Anfangs hatte ich jedoch Zweifel ob das LSB überhaupt Interesse an mir und meiner Idee mit der Anwendung des AFMs in der Lebensmittel-Systembiologie hat. Überraschenderweise habe ich sofort, ich glaube noch am gleichen Tag, eine Einladung zu einem Gespräch bekommen. Ich war sozusagen zur richtigen Zeit am richtigen Ort, denn das LSB war auf der Suche nach jemandem, der die molekularbiologischen Grundlagen der Texturwahrnehmen, vermittelt durch Mechanorezeptoren, untersuchen kann. Ein Wissenschaftszweig, der noch am LSB „fehlte“. 

Ich habe mich mit Veronika Somoza und den künftigen Kolleginnen und Kollegen, die ich dort im Vorfeld kennengelernt habe, auf Anhieb verstanden, sowohl auf persönlicher als auch wissenschaftlicher Ebene. Ein „hit off straight from the beginning“ sozusagen und der Rest ist Geschichte. Ich hätte es niemals ohne das mir entgegengebrachte Vertrauen und die riesengroße Unterstützung geschafft, insbesondere durch Veronika Somoza und ihrer wissenschaftlichen Referentin, Dr. Karin Sebald. Hierfür bin ich sehr dankbar. Von jetzt an heißt es, „Let’s start my own Tour de Force at the LSB”!

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Ich möchte mit meiner wissenschaftlichen Arbeit dazu beitragen, neuartige fettarme und zugleich schmackhafte Lebensmittel zu entwickeln, die ein gesundes Ernährungsverhalten fördern. Gleichzeitig möchte ich die Biophysik in den Ernährungswissenschaften fest etablieren und das einzigartige Wissenschaftsprofil des LSB mit meiner Forschung zukunftsweisend ergänzen.