Auf Initiative des Mediziners und Nahrungsmittelchemikers Prof. Dr. Dr. Theodor Paul gründete die königlich-bayrische Regierung am 03. April 1918 die Deutsche Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie. Im gleichen Jahr wurde Theodor Paul Gründungsdirektor des Instituts.
Mehr über Theodor PaulDas erste Dienstgebäude der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie befand sich in der Karlstraße 29 in München.
In der ersten Sitzung des Stiftungsrats berichtet Prof. Dr. Dr. Theodor Paul (links) über die künftigen Forschungsschwerpunkte des Instituts. Sein Ziel war es, mit der Forschung des Instituts dazu beizutragen, die Lebensmittelqualität und damit auch die Ernährung der Bevölkerung zu verbessern. Ebenso standen im Fokus seiner Forschung die Prinzipien der Geschmackswahrnehmung sowie die Untersuchung von natürlichen und künstlichen Süßstoffen.
In den letzten zwanzig Jahren seines Lebens untersuchte Prof. Dr. Dr. Theodor Paul unter anderem Struktur-/Wirkungs-Zusammenhänge zum Sauergeschmack organischer Säuren in Lebensmitteln, schaffte wichtige Grundlagen zur Entsäuerung von Wein und beschrieb erstmals die synergistische Süßwirkung der damals bekannten Süßstoffe Dulcin und Saccharin.
Mittels physikalisch-chemischer Untersuchungen widerlegten Prof. Dr. Dr. Theodor Paul, Dr. Richard Dietzel und Dr. Kurt Täufel die bisherige Vermutung, dass der saure Geschmack organischer Säuren ausschließlich durch deren Dissoziationskonstante bestimmt wird.
Foto: Deutsche Bunsen-Gesellschaft für physikalische Chemie e. V.
Durch die Inflation ging im Jahr 1923 das Stiftungsvermögen verloren. Es erfolgte die Angliederung der Forschungsanstalt an das Universitätslaboratorium für Angewandte Chemie der Ludwig-Maximilian-Universität München.
Nach dem Tod von Prof. Dr. Dr. Theodor Paul am 30. September 1928 trat Prof. Dr. Benno Bleyer, Inhaber des Lehrstuhls für Pharmazeutische und Lebensmittelchemie der Ludwig-Maximilian-Universität München, am 1. April 1929 die Nachfolge als Direktor der Forschungsanstalt an.
Mehr über Benno BleyerUnter Bleyer konzentrierten sich die Forschungsarbeiten zunächst auf Fragen zur alkoholischen Gärung sowie auf biochemische und ernährungsphysiologische Fragestellungen zu pflanzlichen und tierischen Phosphatiden, Kohlenhydraten und Lipiden. Zum Verständnis des Iodstoffwechsels und der Kropfbildung entwickelte Bleyer Mikromethoden zur Iodbestimmung.
Foto: Arkiv for Ringsaker, Hamar, Vang, Stange og Løten, Hedmarksmuseets fotoarkiv, HHB-00185
Im zweiten Weltkrieg zerstörten Luftangriffe die Räume des Dienstgebäudes sowie fast das gesamte Institutseigentum. Nach dem Tod von Prof. Dr. Bleyer am 24. November 1945 übernahm Prof. Dr. Siegfried Walter Souci 1946 zunächst die kommissarische Institutsleitung und führte die Forschungsarbeiten in behelfsmäßigen Unterkünften in Dachau, Nymphenburg und Schwabing fort.
Der Lebensmittelchemiker Prof. Dr. Siegfried Walter Souci wird am 16. Juli 1947 zum Direktor der Forschungsanstalt bestellt. Bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1968 beschäftigte er sich mit Lebensmittelzusatzstoffen sowie Forschungsfragen der Wasserchemie und der Balneologie (Bäderheilkunde).
Mehr über Siegfried Walter SouciNach kriegsbedingten finanziellen Engpässen wurde die Finanzierung des Instituts auf eine neue Basis gestellt. Die Fortfinanzierung wurde zunächst durch das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus, später auch durch die Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet sowie durch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten langfristig sichergestellt.
Bezug der neu erstellten Laboratorien im Wenschow-Gebäude in München Schwabing.
Während der Bundestag den Modernisierungsentwurf zur „Änderung und Ergänzung des Lebensmittelgesetzes“ diskutiert, führte DER SPIEGEL ein Gespräch mit Prof. Dr. Siegfried Walter Souci als Experten für Lebensmittelzusatzstoffe und die analytische Sicherung der Lebensmittelqualität.
Das in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Heinrich Kraut und Dr. Walter Fachmann entstandene Tabellenwerk von Prof. Dr. Siegfried Walter Souci „Zusammensetzung der Lebensmittel“ erschien zum ersten Mal 1962. Bis heute wird es vom Institut stetig fortentwickelt und um neue Inhaltsstoffe erweitert. Längst zu einem internationalen Standardwerk geworden, steht das Tabellenwerk der Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch der breiten Öffentlichkeit als Printversion sowie Online-Tabelle zur Verfügung.
Am 1. Februar 1969 übernahm Lebensmittelchemiker Prof. Dr. Hans-Dieter Belitz, Professor für Lebensmittelchemie an der Technischen Universität München, die Institutsleitung. Damit geht die Personalunion der Forschungsanstalt mit einer universitären Professur von der Ludwig-Maximilians-Universität München an die Technische Universität München über.
Foto: privat/DFA
Mehr über Hans-Dieter BelitzUnter Führung von Prof. Dr. Belitz standen nun im Fokus des Instituts molekulare Untersuchungen zu Struktur-Wirkungsbeziehungen von Geschmacksstoffen und Getreideproteinen. Hierzu zählt auch das Klebereiweiß Gluten, das die besonderen Backeigenschaften des Weizens definiert.
Seit 1. Januar 1977 wird das Institut über die gemeinsame Förderung der Forschung nach Artikel 91b GG finanziert. Es gehört nun der sogenannten „Blauen Liste“ an, aus der später die Leibniz-Gemeinschaft hervorgegangen ist.
Im Jahr 1977 erfolgte der Umzug des Instituts aus der Münchner Innenstadt in neue Laboratorien der Fakultät für Chemie, Biologie und Geowissenschaften am Garchinger Forschungscampus der Technischen Universität München. Damit eröffneten sich für die Forschungsanstalt völlig neue wissenschaftliche und technologische Entwicklungsmöglichkeiten.
Prof. Dr. Werner Grosch gelang es 1979 erstmals nachzuweisen, dass oxidierte Fettsäuren für den bitteren und brennenden Fehlgeschmack fettreicher Samen, wie zum Beispiel Hafer, verantwortlich sind.
Das Lehrbuch von Prof. Dr. Hans-Dieter Belitz und Prof. Dr. Werner Grosch erscheint erstmals im Jahr 1982. Heute ist es ein internationales Standardwerk für Studierende der Lebensmittelchemie und hilfreiches Nachschlagewerk für Lebensmitteltechnologen, Ernährungswissenschaftler, Humanmediziner und Veterinäre aus Industrie, Forschung und der Lebensmittelüberwachung.
Prof. Dr. Werner Grosch und Dr. Peter Schieberle entwickelten 1983 eine neues Testverfahren, die „Gaschromatographie-Olfaktometrie“, die eine sprunghafte Entwicklung der Aromaforschung einleitete. Durch „Abriechen“ des Trägergasstroms während der gaschromatographischen Trennung komplexer Fraktionen flüchtiger Verbindungen ist es ihnen gelungen, die Schlüsselgeruchsstoffe selektiv zu identifizieren.
1987 führten Prof. Dr. Werner Grosch und Dr. Peter Schieberle die sogenannte Aromaextrakt-Verdünnungsanalyse ein. Bei dieser Methode wendeten sie die „Gaschromatographie-Olfaktometrie“ wiederholt auf seriell verdünnte Aromadestillate an, um alle in Lebensmitteln enthaltenen geruchsaktiven Moleküle in ihrer sensorischen Bedeutung einzustufen. Damit konnten künftig aufwendige Identifizierungsarbeiten auf die potentesten Geruchsstoffe fokussiert werden.
Zur exakten quantitativen Bestimmung von Schlüsselgeruchsstoffen entwickelten Dr. Peter Schieberle und Prof. Dr. Werner Grosch 1987 die Stabilisotopen-Verdünnungsanalyse. Mit der Nutzung synthetischer 13C- oder 2H-stabilisotopenmarkierter Zwillingsmoleküle der zu bestimmenden Geruchsstoffe als ideale interne Standards für die Gaschromatographie-Massenspektrometrie initiierten sie einen Durchbruch in der modernen Aromaforschung.
Mit einem geschickten analytischen Ansatz konnten Prof. Dr. Hans-Dieter Belitz und Dr. Peter Köhler erstmals die komplexen Muster an freien Cystein-Resten und Cystin-Disulfidbrücken in Weizenproteinen auf molekularer Ebene definieren. Zudem gelang es ihnen aufzuzeigen, welche Sequenzabschnitte in Gliadinen durch Thiol-/Disulfid-Austauschreaktionen am Aufbau des Klebernetzwerks bei der Herstellung von Weizenteigen maßgeblich verantwortlich sind.
Prof. Dr. Hans-Dieter Belitz und Dr. Peter Köhler leisteten entscheidende Beiträge zur Strukturaufklärung der „toxischen Sequenzen“ von Gliadinen, die bei einigen Menschen aufgrund ihrer erblichen Veranlagung Zöliakie hervorrufen können. Bei dieser Erkrankung handelt es sich um eine chronische Entzündung der Dünndarmschleimhaut, die Merkmale einer Autoimmunerkrankung aufweist.
Foto: Deutsche Zöliakiegesellschaft e. V.
Nach dem Tod von Prof. Dr. Hans-Dieter Belitz im Jahr 1993 führte der stellvertretende Direktor Prof. Dr. Werner Grosch die Deutsche Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie bis 1995 als kommissarischer Leiter.
Mehr über Werner GroschIm Jahr 1995 wurde Prof. Dr. Peter Schieberle, Professor für Lebensmittelchemie der Technischen Universität München, zum neuen Direktor der Forschungsanstalt berufen. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, die komplexen Geruchsstoffsysteme von Lebensmitteln vollständig zu entschlüsseln und die Forschungsanstalt zu höchster internationaler Reputation zu führen.
Mehr über Peter SchieberleMit der Entwicklung der sogenannten solvent assisted flavour evaporation (SAFE)-Technik haben Wissenschaftler um Prof. Dr. Peter Schieberle ein einteiliges, robustes Sublimationssystem entwickelt, mit dem bei Raumtemperatur aufgrund optimierter Systemdimensionen flüchtige Aromaisolate aus Lebensmitteln artefaktfrei isoliert werden können. Längst hat sich heute die SAFE-Technik in akademischen und industriellen Forschungslaboratorien als ein weltweit genutztes Standardverfahren der Aromaforschung etabliert.
Durch geschickte Kombination der Headspace-Festphasenmikroextraktion (SPME) zur schnellen Geruchsstoffisolierung und der Stabilisotopen-Verdünnungsanalyse (SIDA) zur präzisen quantitativen Analytik sind Prof. Dr. Peter Schieberle und Dr. Martin Steinhaus der automatisierbaren Quantifizierung von Geruchsstoffen in Lebensmitteln einen entscheidenden Schritt näher gekommen.
Unter Nutzung von Mikrobackversuchen und einer weltweit einzigartigen automatisierten Minibackstraße hat Prof. Dr. Peter Köhler polare Lipide als entscheidende natürliche Emulgatoren identifiziert, welche sich positiv auf die Textur der Brotkrume auswirken und das Brotvolumen um bis zu 60 % erhöhen. Zu den aktiven Emulgatoren zählen Phosphatidylcholin, Lysophosphatidylcholin, Digalactosyldiglyceride und Monogalactosylmonoglyceride.
Mittels Struktur-/Wirkungsstudien konnte Prof. Dr. Peter Köhler den Wirkungsmechanismus von polaren Lipiden wie zum Beispiel Phosphatidylcholin im Brot aufklären. So bilden die polaren Lipide in der Brotkrume eine Schicht um die Gasblasen, die dadurch stabilisiert werden und die Luft im Teig und beim Backen in der Brotkrume zurückhalten. Als Resultat verbleibt ein großvolumigeres Brot und eine weichere Krume.
Um den wissenschaftlichen Herausforderungen der sich in einem tiefgreifenden Wandel befindlichen Lebensmittel- und Ernährungssektor wirksamer zu begegnen, wurde die Forschungsanstalt im Jahr April 2010 in das ehemalige Degussa-Gebäude am Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der Technischen Universität München transferiert. Dort steht die Lebensmittelchemie im direkten Wirkungsradius der Lebensmittelverfahrenstechnik, der Ernährungs- und Biowissenschaften sowie der modernen Pflanzen- und Tierwissenschaften und kann diese durch molekulare Forschungsansätze sinnstiftend bereichern.
Foto: M. Steinhaus
Ein Wissenschaftlerteam um Prof. Dr. Veronika Somoza und Prof. Dr. Thomas Hofmann konnte durch die Kombination verschiedener molekularer und zellulärer Untersuchungen erstmals zeigen, dass die Kaffeeröstverbindung N-Methylpyridinium die Säuresekretion von Magenzellen hemmt. Ihre Erkenntnisse lieferten somit eine erste wissenschaftliche Grundlage für die Entwicklung magenbekömmlicher Kaffees.
Graphic/Stomach: istockphoto
Durch Kombination der zwei-dimensionalen Gaschromatographie, der Time-of-Flight-Massenspektrometrie (GC×GC-TOF-MS) und der Stabilisotopen-Verdünnungsanalyse (SIVA) unter Verwendung positionsspezifisch 13C-markierter interner Standards konnte Prof. Dr. Peter Schieberle erstmals eine Vielzahl von Schlüsselgeruchsstoffen simultan quantifizieren. Damit hat er den technologischen Grundstein für eine automatisierte Aromastoffanalytik gelegt.
Durch seine Forschungsarbeiten hat Prof. Dr. Peter Schieberle entgegen bisheriger Sichtweisen gezeigt, dass sich die nahezu unendliche Vielfalt an Lebensmittelaromen aus lediglich ~230 Schlüsselgeruchsstoffen der bislang ca. 12.000 identifizierten flüchtigen Lebensmittelinhaltsstoffe kombinatorisch zusammensetzt. Dabei kodieren zwischen 2 (z.B. Durian) und etwa 40 Verbindungen (z.B. Cognac) in jeweils spezifischen Konzentrationsverhältnissen das typische Aromaprofil von Lebensmitteln.
In Kooperation mit Forschern der Technischen Universität München haben PD Dr. Dietmar Krautwurst und seine Kollegen erstmals Geruchs- und Geschmacksrezeptoren in Blutimmunzellen nachgewiesen. Da diese Zellen chemotaktisch auf den Süßstoff Saccharin sowie auf das biogene Amin 2-Phenylethylamin der Schokolade reagierten, haben die Geruchs- und Geschmacksrezeptoren nicht nur in Nase und Mund eine wichtige Funktion, sondern vermutlich auch bei der Steuerung des zellulären Immunsystems.
Bild: Malki, A. et al., Journal of Leukocyte Biology 97, 533-545, 2015, Wiley & Sons Inc., © 2015 Society for Leukocyte Biology
Bis zur Berufung eines neuen Institutsdirektors leitete vom 10. Oktober 2016 bis zum 14. August 2017 Prof. Dr. Anna Maria Reichlmayr-Lais, Ökotrophologin und Professorin an der Technischen Universität München, als Interims-Direktorin das Institut. Ihr Anliegen war, die Lebensmittelchemie auf der Basis der modernen Biowissenschaften noch enger mit der Ernährungswissenschaft und Medizin zu verknüpfen.
Foto: TUM
Mehr über Anna Maria Reichlmayr-LaisProf. Dr. Thomas Hofmann, Geschäftsführender Vizepräsident Forschung & Innovation der Technischen Universität München und Professor für Lebensmittelchemie und Molekulare Sensorik, wurde mit Wirkung zum 15. August 2017 zum Direktor der Forschungsanstalt bestellt.
Mehr über Thomas HofmannNach 99 Jahren erfolgreichen Wirkens als Deutsche Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie erfolgte am 7. September 2017 die Umbenennung in Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München. Damit wurde eine strukturelle und wissenschaftlich-strategische Neuausrichtung des Instituts in Gang gesetzt, um den komplexen wissenschaftlichen Herausforderungen entlang der Kette Agrar -> Lebensmittel -> Mensch Rechnung zu tragen.
(links nach rechts: Dr. Florian Herrmann MdL, MD Dr. Bernhard Schwab, Minister Ilse Aigner, TUM Präsident Professor Dr. Wolfgang A. Herrmann and Professor Dr. Thomas Hofmann - Foto: StMWi/A. Heddergott)
Um Wirksysteme in Lebensmitteln umfassend erforschbar, in ihrer Wirkung systemisch verständlich und langfristig vorhersagbar zu machen, besitzt das Institut ein einzigartiges Forschungsprofil an der Schnittstelle zwischen Lebensmittelchemie & Biologie, Technologie & Chemosensoren sowie Bioinformatik & Maschinelles Lernen. Damit ist das Institut über die ehemalige Stammdisziplin der Lebensmittelchemie weit hinausgewachsen und leitet die Entwicklung einer SYSTEMBIOLOGIE DER LEBENSMITTEL ein. Das Institut besitzt ein einzigartiges Forschungsumfeld, in dem Chemiker, Biologen, Biotechnologen, Ernährungswissenschaftler, Informatiker und Mathematiker interdisziplinär zusammenarbeiten.
Wirksame Ansätze für die nachhaltige Produktion ausreichender Mengen an Lebensmitteln zu entwickeln, deren Inhaltsstoff- und Funktionsprofile an den gesundheitlichen und nutritiven Bedürfnissen sowie den sensorischen Präferenzen der Verbraucher ausgerichtet sind, setzt ein neues, molekulares Systemverständnis der Inhaltsstoffe voraus, das weit über die Kenntnis von Einzelmolekülen hinausgeht. Unter Nutzung eines systembiologischen Ansatzes erforscht das Institut die Struktur-Dosis-Funktionszusammenhänge komplexer Inhaltsstoffmuster beginnend von alternativen Rohstoffen und der Wiederverwendung industrieller Prozessseitenströme, über neue Prozesstechnologien und personalisierte Lebensmittelprodukte hinaus bis hin zu deren physiologischen Wechselwirkung mit dem menschlichen Organismus.
PD Dr. Dietmar Krautwurst und seine Kollegen haben Zellen so modifiziert, dass sie menschliche Geruchsrezeptoren auf ihrer Oberfläche tragen, deren Struktur mit der eines Helferproteins gezielt verknüpft ist. Hierdurch ist es gelungen, die Empfindlichkeit und Signalstärke des Geruchsrezeptorassays im Vergleich zu bisherigen Technologien um das bis zu 14-fache zu steigern. Damit ist das Leibniz-Institut nun in der Lage, komplexe Gerüche als spezifische Rezeptor-Barcodes zu erfassen und die Digitalisierung der Geruchssignaturen von Lebensmitteln, Körper- und Umwelt-Proben einzuleiten. Die Arbeiten sollen künftig dazu führen, eine „biomolekulare Nase“ mit humanähnlicher Leistungsfähigkeit zu entwickeln.
Etwa 8 % der Bevölkerung sind geruchsblind für das minzartig riechende (R)-(−)-Carvon; hingegen können sie das kümmelartig duftende stereoisomere (S)-(+)-Carvon riechen. Warum ist das so? Forschungsarbeiten von PD Dr. Dietmar Krautwurst und Kollegen vom Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie weisen darauf hin, dass sich die Geruchsblindheit einiger Menschen für den Minzduft von Carvon auf eine Mutation in der für das (R)-(−)-Stereoisomer spezifischen Bindungstasche des Geruchsrezeptors OR1A2 zurückführen lässt.
Abbildung: Springer Customer Service Centre GmbH, Springer Nature, Cell Mol Life Sci 74, 4209-4229, Geithe, C. et al., 2017
Glutenfreie Lebensmittelprodukte sind am Symbol der gekreuzten Ähre auf der Verpackung zu erkennen. Sie dürfen Gluten in Gehalten von weniger als 20 mg/kg enthalten. In einem internationalen Forscherteam hat Dr. Katharina Scherf Methoden und Referenzmaterialien verbessert, mit denen sich der Glutengehalt in Weizen, Roggen und Gerste zuverlässig bestimmen lässt. Diese Arbeiten leisten einen wichtigen Beitrag, um die Qualität glutenfreier Produkte zu sichern.
Weltweit tritt Zöliakie zunehmend häufiger auf. Dies lässt vermuten, dass Weizenmehl aufgrund züchterischer Veränderungen mehr Zöliakie-aktives Glutenpeptid enthält als früher, da es als Hauptauslöser der Darmkrankheit gilt. Basierend auf der Analyse von 57 Proben alter und moderner Weizensorten aus aller Welt konnte Dr. Katharina Scherf jedoch keine signifikanten Unterschiede in den Gehalten dieses 33-mer-Peptids beobachten. Damit müssen andere, bislang unbekannte Faktoren die zunehmende Zöliakie-Prävalenz auslösen.
Dr. Maik Behrens, seit Februar 2018 am Leibniz-Institut, ist dieser Frage nachgegangen. Dabei zeigte sich, dass beide Süßstoffe nicht nur den Süßrezeptor und jeweils unterschiedliche Bitterrezeptoren aktivieren, vielmehr hemmen sie gleichzeitig als Bitterrezeptor-Inhibitoren die Bitterrezeptoren des jeweils anderen Süßstoffs. Inspiriert durch diese Erkenntnisse und mit dem Ziel neue Geschmacksmodulatoren aufzuspüren werden am Leibniz-Institut nun verstärkt komplexere Stoffsysteme erforscht.
Eine übermäßige alimentäre Aufnahme von Natrium stellt einen Risikofaktor für die Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen dar. Erfolgreiche Strategien zur Salzreduktion in Lebensmitteln setzen jedoch neue Kenntnisse über die Mechanismen der Salzgeschmackswahrnehmung voraus. Mitarbeiter um Prof. Dr. Thomas Hofmann haben nun erstmals beobachtet, dass proteolytische Vorgänge im Speichel für das ”Fine-tuning” der Salzgeschmackssensitivität eine Rolle spielen. So wiesen Speichelproben von Salz-insensitiven Probanden eine erhöhte Endopeptidase-Inhibitor-Aktivität auf, während Salz-sensitive Probanden eine verstärkte Endopeptidase-Aktivität zeigten. Eine nach oraler Endoprotease-Gabe beobachtete Intensivierung des Salzgeschmacks ging mit der Bildung des salzgeschmacksverstärkenden Tetrapeptids PLWR im Speichel einher.
Foto: istockphoto: ©fotolinchen
Zur strukturellen Erneuerung und Modernisierung der Forschungsinfrastruktur fördert das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Energie und Technologie das Leibniz-Institut seit April 2018 mit dem Projekt „Task Force – Integrative Lebensmittelforschung 2018 – 2020“ in einer Höhe von insgesamt 16,7 Millionen Euro. Damit soll die strategische Ausrichtung des Leibniz-Instituts in Richtung Systembiologie der Lebensmittel kraftvoll in Schwung gebracht werden.
(von links nach rechts: Prof. Matthias Kleiner, President of the Leibniz Association, Bavarian State Minister Dr. Florian Herrmann, Prof. Thomas Hofmann, Director of the Leibniz-Institute for Food Systems Biology, Bavaria's Minister of Economic Affairs, Franz Josef Pschierer and TUM's President Wolfgang A. Herrmann during the ceremony - Foto: independent light/Leibniz-LSB@TUM)
Die neue Forschungsagenda des Leibniz-Instituts setzt räumliche Entwicklungsmöglichkeiten voraus, die weit über die heute zur Verfügung stehenden Flächen (ca. 1.700 qm HNF) hinausgehen. Daher ist für das neue Leibniz-Institut ein Forschungsneubau (ca. 3.500 qm) geplant, in dem zum Wohle der Gesellschaft Lebensmittel- und Ernährungsforschung auf internationalem Spitzenniveau betrieben werden kann.
Foto: istockphoto: ©io_nia