Was Geruchsrezeptoren zur Zelloberfläche bringt – „Postleitzahlen“ für Geruchssensoren identifiziert

Ein Wissenschaftlerteam um Dietmar Krautwurst vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München hat nun erstmals Adresscodes in Geruchsrezeptorproteinen identifiziert. Die Codes sorgen ähnlich wie Postleitzahlen dafür, dass die Sensorproteine aus dem Zellinneren gezielt zur Zelloberfläche gelangen, um dort ihre Arbeit als Duftstoffdetektor aufzunehmen. Die neuen Erkenntnisse könnten dazu beitragen, neuartige Testsysteme zu entwickeln, mit denen sich die Geruchsstoffprofile von Lebensmitteln im Hochdurchsatzverfahren analysieren und somit besser kontrollieren lassen.

Die Gene der ca. 400 menschlichen Geruchsrezeptortypen sind seit etwa 20 Jahren identifiziert. Dennoch ist für etwa 80 Prozent dieser Sensorproteine immer noch nicht bekannt, auf welche Geruchsstoffe sie reagieren. Dies zu wissen, ist aber eine wichtige Voraussetzung, um biobasierte „künstliche Nasen“ für Lebensmittelkontrollen zu entwickeln.

Zelluläre Testsysteme

Doch wie lässt sich dieses Problem lösen? Normalerweise verwenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zelluläre Testsysteme, um herauszufinden, auf welche Substanzen ein Rezeptorprotein reagiert. Ein besonderes Problem von Geruchsrezeptoren ist jedoch, dass sie oftmals im Inneren der Versuchszellen stecken bleiben und nicht zur Zelloberfläche gelangen. Selbst ein passender Duftstoff kann dann nicht an den Rezeptor andocken und ihn aktivieren. Eine Geruchsstoffzuordnung ist somit nicht möglich.

Aber warum bleiben Geruchsrezeptoren so oft in den Testzellen stecken und welche molekularen Mechanismen sind am Transport der Geruchsrezeptoren zur Zelloberfläche beteiligt? Um dazu beizutragen, diese grundlegenden Fragen zu beantworten, hat das Wissenschaftlerteam die Proteinsequenzen von 4.808 Geruchsrezeptoren aus acht verschiedenen Spezies mithilfe statistischer und phylogenetischer Analysemethoden untersucht und miteinander verglichen. Hierdurch ist es dem Team gelungen, hochkonservierte Aminosäuremotive zu identifizieren. Diese sind im jeweiligen C-terminalen Ende der Rezeptorproteine lokalisiert, das ins Zellinnere (Zytoplasma) hineinragt.

Adresscodes identifiziert

„Zusätzlich von uns durchgeführte Struktur-Funktionsanalysen weisen darauf hin, dass einzelne der identifizierten Aminosäuren und auch deren Kombination wie Adresscodes oder stark vereinfacht gesagt, wie ‚Postleitzahlen‘ fungieren“, berichtet Studienleiter Dietmar Krautwurst. „Solche Aminosäuremotive waren bisher für Geruchsrezeptoren unbekannt“, so der Biologe weiter. „Wir gehen davon aus, dass die Geruchsrezeptormoleküle über diese Motive mit zelleigenen Proteinen interagieren, welche die Sensorproteine über noch unbekannte Mechanismen zu ihrem Einsatzort an die Zelloberfläche leiten.“

Die Forschenden um Dietmar Krautwurst hoffen, dass ihre neuen Erkenntnisse dazu beitragen werden, zelluläre Testsysteme für Geruchsrezeptoren so zu optimieren, dass es bald möglich sein wird, für jeden Geruchsrezeptor die entsprechenden Duftstoffpartner zu bestimmen. Das Wissenschaftlerteam ist sich einig: Nur, wenn man die Erkennungsspektren möglichst vieler Geruchsrezeptoren kennt, wird es gelingen, biobasierte Testsysteme zu entwickeln, mit denen sich die Geruchsprofile von Lebensmittel während der Produktion sicher und schnell kontrollieren lassen.

Originalpublikation: Kotthoff M, Bauer J, Haag F, Krautwurst D (2021) FASEB J, 35: e21274. DOI: 10.1096/fj.202000182RR. Conserved C-terminal motifs in odorant receptors instruct their cell surface expression and cAMP signaling. http://dx.doi.org/10.1096/fj.202000182RR


Hintergrundinformationen:

Den Geruch eines Lebensmittels nehmen wir über Geruchsrezeptoren wahr. Sie sitzen auf der Oberfläche von Nervenzellenden, die in die Nasenschleimhaut eingebettet sind. Jede Nervenzelle verfügt dabei über nur eine Art der etwa 400 beim Menschen aktiven Geruchsrezeptortypen

Insgesamt haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bis heute etwa 10.000 verschiedene, flüchtige Aromastoffe in Nahrungsmitteln identifiziert. Davon sind vermutlich nur ca. 230, sogenannte Schlüsselgeruchsstoffe, für den olfaktorischen Gesamteindruck entscheidend. Etwa 3 bis 40 dieser Verbindungen reichen aus, um den typischen Duft einer Speise oder eines Getränks zu prägen. Im richtigen Mengenverhältnis kombiniert aktivieren sie die Geruchsrezeptoren in unserer Nase in spezifischer Weise. Es entstehen so neuronale Signalmuster, die im Gehirn zum charakteristischen Duft eines Lebensmittels verschmelzen.

Quelle: Nature's chemical signatures in human olfaction: a foodborne perspective for future biotechnology. Dunkel A, Steinhaus M, Kotthoff M, Nowak B, Krautwurst D, Schieberle P, Hofmann T. Angew Chem Int Ed Engl. 2014 Jul 7;53(28):7124-43. DOI: 10.1002/anie.201309508.

Wie funktionieren zellbasierte Rezeptor-Testsysteme? – Einfach erklärt

In solchen Systemen verwenden Forschende Zellen, die sich z. B. in einer Petrischale mit Nährmedium befinden. Die Zellen sind genetisch so verändert, dass sie den zu untersuchenden Rezeptortyp herstellen, in ihre Zellmembran integrieren und ähnlich wie eine Antenne auf der Zelloberfläche präsentieren. Um zu testen, ob der Rezeptor auf eine bestimmte Substanz reagiert, geben die Forschenden die zu untersuchende Substanz ins Nährmedium. Messen sie anschließend ein Aktivierungssignal, wissen sie, dass der Rezeptor die Substanz erkennt.

Kontakt:
PD Dr. Dietmar Krautwurst
Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie
an der Technischen Universität München (Leibniz-LSB@TUM)
Lise-Meitner-Str. 34
85354 Freising
Tel.: +49 8161 71-2634
E-Mail: d.krautwurst.leibniz-lsb(at)tum.de

Presseverantwortlich:
Dr. Gisela Olias
Leibniz-LSB@TUM
Wissenstransfer, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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Informationen zum Institut

Das Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München (Leibniz-LSB@TUM) besitzt ein einzigartiges Forschungsprofil. Seine Wissenschaftler kombinieren Methoden der biomolekularen Grundlagenforschung mit Analysemethoden der Bioinformatik und analytischen Hochleistungstechnologien. Ihr Ziel ist es, die komplexen Inhaltsstoffprofile von Rohstoffen bis hin zu den finalen Lebensmittelprodukten zu entschlüsseln und deren Wirkung auf den Menschen aufzuklären. Basierend auf ihrer Forschung entwickelte Produkte sollen dazu beitragen, die Bevölkerung auch in Zukunft nachhaltig und ausreichend mit gesundheitsfördernden, wohlschmeckenden Lebensmitteln zu versorgen. Darüber hinaus sollen die neu gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu dienen, personalisierte Ernährungskonzepte zu entwickeln, die zum Beispiel Menschen mit einer Nahrungsmittelunverträglichkeit helfen, ohne dass die Lebensqualität eingeschränkt und die Gesundheit gefährdet ist.

Das Leibniz-LSB@TUM ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die 96 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro.

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