Neuer Forschungsansatz: Mit dem Mikroskop das Mundgefühl von Lebensmitteln erforschen

Freising, 29.05.2024 – Ein Team um Melanie Köhler und Veronika Somoza vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie hat einen neuen Forschungsansatz in der Fachzeitschrift Nature Food vorgestellt. Im Fokus des Perspectives-Artikels stehen verschiedene Möglichkeiten, mittels Rasterkraftmikroskopie das Mundgefühl von Lebensmitteln zu erforschen, um die biophysikalischen Mechanismen besser zu verstehen, die zu Geschmackseindrücken beitragen. Neue Erkenntnisse in diesem Bereich könnten die Entwicklung gesundheitsfördernder Produkte vorantreiben, die weniger Salz, Fett, Zucker und Kalorien enthalten, aber trotzdem sensorisch vom Mundgefühl her überzeugen.

Das Mundgefühl eines Lebensmittels spielt eine entscheidende Rolle für dessen Akzeptanz. So bevorzugen viele Menschen bei Quark und Joghurt eine cremige Konsistenz. Äpfel sollten dagegen beim Hineinbeißen saftig und knackig sein und Brotkrusten knusprig. Diese Vielfalt zeigt, dass das optimale Mundgefühl stark von der Lebensmittelart abhängt und nicht einheitlich definiert ist.

Komplexes Zusammenspiel erforschen

Zudem ist das Zusammenspiel von Inhaltsstoffen, Textur und Temperatur eines Lebensmittels mit den verschiedenen Sensormolekülen und Zelltypen im Mund äußerst komplex. Nachwuchsgruppenleiterin Melanie Köhler sagt: „Insbesondere Mechanorezeptoren, die auf Druck oder Dehnung reagieren, sind im Hinblick auf das optimale Mundgefühl und ihren Beitrag zum sensorischen Gesamteindruck eines Lebensmittels noch wenig erforscht.“

Veronika Somoza, Direktorin des Freisinger Leibniz-Instituts ergänzt: “In unserem aktuellen Perspectives-Artikel stellen wir verschiedene experimentelle Ansätze vor, mit denen interdisziplinär die vielen noch offenen Fragen rund um das Thema Mundgefühl aus biophysikalischer Sicht angegangen werden können. Wir haben dabei den Fokus auf die biologische Rasterkraftmikroskopie gelegt.“

Das Rasterkraftmikroskop ist ein Werkzeug, das Oberflächen auf atomarer Ebene abtastet und sie so visualisiert. Auf diese Weise lassen sich auch Wechselwirkungen zwischen Molekülen wie Lebensmittelinhaltsstoffen und Rezeptorproteinen untersuchen. Es kann aber auch dazu dienen, mechanischen Druck auf Zellen auszuüben und auf diese Weise Mechanorezeptoren zu aktivieren und deren zelluläre Signalantwort zu identifizieren und zu charakterisieren.

Traditionelle Definition überdenken

Ein grundlegendes biophysikalisches und funktionelles Verständnis der vielfältigen mechanosensorischen Hauptakteure im oralen und extraoralen Gewebe und ihrer Reaktionen auf Lebensmittelinhaltsstoffe ist laut Melanie Köhler wichtig. Es ermögliche, neue Hypothesen über den Beitrag von Mechanosensoren zum sensorischen Gesamteindruck eines Lebensmittels aufzustellen und viele der heute im molekularen Bereich noch offenen Fragen zu beantworten.

„Hinsichtlich der Lebensmittelforschung erwarten wir, dass zukünftige Ergebnisse zu einer Revision unserer traditionellen Definition von flavor, also dem sensorischen Gesamteindruck eines Lebensmittels, führen werden, indem wir die mechanische Wahrnehmung als weiteren Faktor neben Geschmack und Geruch einbeziehen“, erklärt die junge Wissenschaftlerin. „In Bezug auf die Lebensmittelproduktion eröffnet unser wegweisender Forschungsansatz vielversprechende Perspektiven für die Gestaltung zukünftiger, genussvoller und zugleich gesundheitsbewusster Ernährungsoptionen“, so Melanie Köhler weiter.

Publikation: Koehler, M., Benthin, J., Karanth, S., Wiesenfarth, M., Sebald, K., and Somoza, V. (2024). Biophysical investigations using atomic force microscopy can elucidate the link between mouthfeel and flavour perception. Nat Food 5, 281-287. 10.1038/s43016-024-00958-3. www.nature.com/articles/s43016-024-00958-3

Kontakte:

Expertinnen-Kontakt:

Prof. Dr. Veronika Somoza
Direktorin des Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie
an der Technischen Universität München (Leibniz-LSB@TUM)
Lise-Meitner-Str. 34
85354 Freising
E-Mail: v.somoza.leibniz-lsb@tum.de

Dr. Melanie Köhler
Leiterin der Nachwuchsgruppe Mechanoreceptors am Leibniz-LSB@TUM
Tel.: +49 8161 71-2745
E-Mail: m.koehler.leibniz-lsb@tum.de

Pressekontakt am Leibniz-LSB@TUM:

Dr. Gisela Olias
Wissenstransfer, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: +49 8161 71-2980
E-Mail: g.olias.leibniz-lsb(at)tum.de
www.leibniz-lsb.de

Informationen zum Institut:

Das Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München besitzt ein einzigartiges Forschungsprofil an der Schnittstelle zwischen Lebensmittelchemie & Biologie, Chemosensoren & Technologie sowie Bioinformatik & Maschinellem Lernen. Weit über die bisherige Kerndisziplin der klassischen Lebensmittelchemie hinausgewachsen, leitet das Institut die Entwicklung einer Systembiologie der Lebensmittel ein. Sein Ziel ist es, neue Ansätze für die nachhaltige Produktion ausreichender Mengen an Lebensmitteln zu entwickeln, deren Inhaltsstoff- und Funktionsprofile an den gesundheitlichen und nutritiven Bedürfnissen, aber auch den Präferenzen der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgerichtet sind. Hierzu erforscht es die komplexen Netzwerke sensorisch relevanter Lebensmittelinhaltsstoffe entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit dem Fokus, deren physiologische Wirkungen systemisch verständlich und langfristig vorhersagbar zu machen.

Das Leibniz-Institut ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft (https://www.leibniz-gemeinschaft.de/), die 97 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro.

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