Laudatio zum 70. Geburtstag von Herrn Professor Dr. Peter Schieberle

Am 14. September feierte Professor Dr. Peter Schieberle seinen 70. Geburtstag! Hierzu gratuliere ich ihm als seine Schülerin, langjährige Kollegin und Nachfolgerin am heutigen Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München (LSB) auch im Namen aller Institutsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter ganz herzlich.

Peter Schieberle ist vielen von uns als unterstützender Mentor, hervorragender Lehrer und exzellenter Wissenschaftler bekannt, der sich mit Hingabe und Enthusiasmus der Lebensmittelchemie verschrieben hat. Er ist im Sauerland geboren und hat sein Fach an den Universitäten Bonn und Aachen studiert. Als Schüler von Professor Dr. Werner Grosch promovierte er 1980 an der Technischen Universität München mit einer Arbeit über die Mechanismen der Lipidperoxidation. Im Rahmen seiner Dissertation kam er erstmals mit dem Gebiet der Aromaforschung in Kontakt, denn die Forschung seines Doktorvaters Professor Grosch war vor allem auf die Analyse und Bildung von flüchtigen Aromastoffen ausgerichtet. Lebensmittel wie Kaffee, Getreideprodukte und fetthaltige Nahrungsmittel standen im Fokus dieser Arbeiten. Hierdurch inspiriert, begann Peter Schieberle dieses spannende Feld der Lebensmittelchemie weiter zu beforschen. Seine Postdoc-Zeit absolvierte er von 1980 bis 1993 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie (DFA) in Garching – ein Leibniz-Institut, das inzwischen auf eine über hundertjährige Forschungstradition zurückblickt. Hier habilitierte Peter Schieberle von 1986 bis 1990 zur Bildung von Geruchsstoffen aus der Maillard-Reaktion und erhielt die venia legendi an der Fakultät für Chemie der Technischen Universität München. Während dieser Zeit verbesserte Peter Schieberle gemeinsam mit seinem ehemaligen Doktorvater Werner Grosch im Jahr 1983 ein Testverfahren, die „Gaschromatographie-Olfaktometrie“, kurz GC-O genannt, maßgeblich und leitete hiermit eine sprunghafte Weiterentwicklung der Aromaforschung ein. Durch „Abriechen“ des Trägergasstroms während der gaschromatografischen Trennung komplexer Fraktionen flüchtiger Verbindungen gelang es beiden Wissenschaftlern, Schlüsselgeruchsstoffe von Lebensmitteln selektiv zu identifizieren. Rund vier Jahre später, im Jahr 1987, führten beide Forscher eine weitere Methode ein, die sogenannte Aromaextrakt-Verdünnungsanalyse (AEDA). Bei dieser wendeten sie die GC-O wiederholt auf seriell verdünnte Aromadestillate an, um sämtliche in Lebensmitteln enthaltene geruchsaktive Moleküle in ihrer Bedeutung für die sensorische Bewertung eines Lebensmittels einzustufen. Hierdurch war es möglich, die sogenannten „Schlüsselaromastoffe“ zu identifizieren und aufzuklären, welche Aromastoffe den Aromaeindruck eines Lebensmittels maßgeblich bestimmen. Im selben Jahr entwickelten Schieberle und Grosch außerdem ein Verfahren für die Quantifizierung von flüchtigen, aromagebenden Stoffen: die Stabilisotopen-Verdünnungsanalyse, kurz SIVA genannt. Indem sie für dieses Verfahren synthetische 13C- oder 2H-stabilisotopenmarkierte „Zwillingsmoleküle“ der zu bestimmenden Geruchsstoffe als ideale interne Standards für die Gaschromatographie-Massenspektrometrie nutzten, gelang den beiden Chemikern ein weiterer Durchbruch in der modernen Aromaforschung.

Nach dieser äußerst innovativen, gemeinsamen Zeit mit seinem ehemaligen Doktorvater Professor Grosch in Garching übernahm Peter Schieberle von 1989 bis 1993 einen Lehrauftrag für das Fach Lebensmittelchemie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und folgte im Jahr 1993 einem Ruf auf eine Professur für Lebensmittelchemie an der Universität Wuppertal. 1995 kehrte er nach Bayern zurück, da er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Lebensmittelchemie an die Technische Universität München erhalten hatte. Am 1. August 1995 wurde er zum Direktor der DFA bestellt, dem heutigen LSB. Hier übernahm er die Amtsgeschäfte von seinem Mentor Werner Grosch, der dieses Institut von 1993 bis 1995 kommissarisch nach dem Tod von Hans-Dieter Belitz geleitet hatte und der bis 1999 als stellvertretender Leiter an der DFA tätig war.

Gemeinsam mit Werner Grosch gilt Peter Schieberle heute als einer der Gründungsväter der modernen Aromaforschung, wobei unter seiner Führung bis 2016 die DFA höchste nationale und internationale Reputation im Forschungsgebiet der „Molekularen Sensorik“ entwickelte. So gelangen Peter Schieberle während seiner Amtszeit als Institutsdirektor äußerst innovative technologische Durchbrüche, welche die Aromaforschung weiter vorantrieben. Mit der Entwicklung der sogenannten solvent assisted flavour evaporation (SAFE)-Technik im Jahr 1999 entwickelte das Team um Peter Schieberle ein einteiliges, robustes Sublimationssystem, mit dem bei Raumtemperatur aufgrund optimierter Systemdimensionen flüchtige Aromaisolate aus Lebensmitteln wie Bier artefaktfrei isoliert werden können. Heute hat sich die SAFE-Technik längst in akademischen und industriellen Forschungslaboratorien als ein weltweit genutztes Standardverfahren der Aromaforschung etabliert. Zudem gelang es Peter Schieberle und seinem damaligen Doktoranden PD Dr. Martin Steinhaus im Jahr 2003 durch geschickte Kombination der Headspace-Festphasenmikroextraktion (SPME) zur schnellen Geruchsstoffisolierung und der Stabilisotopen-Verdünnungsanalyse (SIDA) zur präzisen quantitativen Analytik die Geruchsstoffanalytik weiter zu beschleunigen und der automatisierbaren Quantifizierung von Geruchsstoffen in Lebensmitteln einen entscheidenden Schritt näherzukommen. Im Jahr 2013 entwickelte Peter Schieberle eine weitere Methodik, mit der es erstmals möglich war, eine Vielzahl von Schlüsselgeruchsstoffen simultan zu quantifizieren. Diese kombiniert die zwei-dimensionale Gaschromatographie mit der Time-of-Flight-Massenspektrometrie (GCxGC-TOF-MS) und der Stabilisotopen-Verdünnungsanalyse (SIVA) unter Verwendung positionsspezifisch 13C-markierter Standards. Damit war der technologische Grundstein für eine automatisierte Aromastoffanalytik gelegt.

Die Forschung unter Führung von Peter Schieberle hat maßgeblich dazu beigetragen, die komplexen Geruchsstoffsysteme von Lebensmitteln vollständig zu entschlüsseln. Durch seine exzellenten wissenschaftlichen Arbeiten hat er entgegen bisheriger Sichtweisen gezeigt, dass sich die nahezu unendliche Vielfalt an Lebensmittelaromen aus lediglich etwa 230 Schlüsselgeruchsstoffen der bislang 12.000 identifizierten flüchtigen Lebensmittelinhaltsstoffe kombinatorisch zusammensetzt. So kodieren zwischen 2 (Durian) und etwa 40 Verbindungen (Cognac) in jeweils spezifischen Konzentrationsverhältnissen das typische Aromaprofil von Lebensmitteln.

Während seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat Peter Schieberle über 100 Nachwuchstalente promoviert. Zu seinen Schülerinnen und Schülern zählen exzellente und wissenschaftlich mehrfach ausgezeichnete Lebensmittelchemikerinnen und -chemiker wie Professor Dr. Thomas Hofmann, amtierender Präsident der Technischen Universität München, Professor Dr. Michael Rychlik, Leiter des Lehrstuhls für Analytische Lebensmittelchemie an der Technischen Universität München, Professor Dr. Andrea Büttner, geschäftsführende Institutsleiterin des Fraunhofer IVV und Leiterin des Lehrstuhls für Aroma- und Geruchsforschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, sowie Professor Dr. Michael Granvogl, der an der Universität Hohenheim das Institut für Lebensmittelchemie leitet. Der große Erfolg dieser Personen liegt sicher auch darin begründet, dass ihr Doktorvater die lebensmittelchemische Forschung mit umfangreichem Fachwissen und großem Enthusiasmus verfolgt und gleichzeitig über die Fähigkeit verfügt, beides erfolgreich an junge Menschen weiterzugeben. Die wissenschaftlichen Leistungen von Peter Schieberle spiegeln sich in über 400 Doktorarbeiten und wissenschaftlichen Publikationen wider, wobei er selbst seit 2002 Associate Editor des angesehenen Fachjournals Journal of Agricultural and Food Chemistry der American Chemical Society ist. Zu den wohl bekanntesten Publikationen zählen auch die Neuauflagen des von Belitz und Grosch initiierten „Lehrbuchs der Lebensmittelchemie“, zu denen Peter Schieberle seit 2001 als Autor beigetragen hat. Das Lehrbuch ist ‚das‘ internationale Standardwerk für Studierende der Lebensmittelchemie und wird zudem als hilfreiches Nachschlagewerk von Lebensmitteltechnologen, Ernährungswissenschaftlern, Humanmedizinern und Veterinären aus Industrie, Forschung und Lebensmittelüberwachung sehr geschätzt. Nicht zuletzt sprechen die zahlreichen wissenschaftlichen Auszeichnungen, die Peter Schieberle für seine wissenschaftlichen Leistungen erhalten hat, für seinen beruflichen Erfolg. So erhielt er im Jahr 2007 die Joseph-König-Gedenkmünze der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCH) und wurde mit dem Excellence in Flavor Science Award der Flavor Extract Manufacturers Association (FEMA, 2008), dem Award for the Advancement of Application of Agricultural and Food Chemistry (ACS, 2011) sowie dem Tanner Award (IFT, 2016) ausgezeichnet. Im Jahr 2016 wurde er als Mitglied in die Academie d’Agriculture de France gewählt und im September 2019 in Anerkennung seiner besonderen Verdienste um die Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) und die Förderung der Kooperation von Lebensmittelwissenschaft und Lebensmittelindustrie mit der Hans-Dieter-Belitz-Medaille des Forschungskreises der Ernährungsindustrie e.V. (FEI) geehrt.

Aufgrund dieser zahlreichen Forschungserfolge, Innovationen und Publikationen, die unter Führung von Peter Schieberle erzielt wurden, gilt das von ihm in der Zeit von bis 1995 bis 2016 geleitete Leibniz-Institut heute als international führendes Institut für die moderne chemosensorische Analytik.

Obwohl auf dem Gebiet der molekularen Sensorik in den letzten 30 Jahren enorme Fortschritte erzielt wurden, hat Peter Schieberle schon früh erkannt, dass an der Schnittstelle zwischen der Chemie geruchs- und geschmacksaktiver Verbindungen und der Biologie chemosensorisch-relevanter Rezeptoren eine neue Erkenntnisqualität erforderlich ist. Nicht zuletzt, da der Wunsch der Konsumentinnen und Konsumenten nach gesundheitsfördernden und gleichzeitig schmackhaften Lebensmitteln beständig steigt. Mit meiner Rekrutierung im Jahr 2003 und später durch die Anstellung von PD Dr. Dietmar Krautwurst im Jahr 2008 hat er daher die entscheidenden Weichen gestellt, um das Forschungsprofil des Instituts zukunftsweisend zu erweitern sowie interdisziplinären Fragestellungen an der Schnittstelle der molekularen Aromastoffchemie und der Chemorezeptor-vermittelten Humanphysiologie nachzugehen. Zu den ersten spannenden, aus dieser Forschung hervorgegangenen Ergebnissen gehören Erkenntnisse über Röstverbindungen im Kaffee, welche die Magensäureproduktion fördern bzw. hemmen, ebenso wie neue Einsichten in die sättigende Wirkung von Aromastoffen aus Olivenöl. Seit diesen ersten Ergebnissen mehren sich weltweit die wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass flüchtige sowie nicht-flüchtige Aromastoffe über den sensorischen Effekt hinaus weitere wichtige physiologische Wirkungen auf den menschlichen Organismus entfalten. Diese gilt es heute zu erforschen, um Lebensmittelproduzenten dabei zu helfen, die knapper werdenden natürlichen Ressourcen nachhaltig zu nutzen, um sensorisch attraktive Lebensmittel zu produzieren, die zu einer gesunden Ernährung beitragen und von den Konsumenten aufgrund ihrer sensorischen und nutritiven Qualitäten geschätzt werden. Für mich ist es angesichts dieser großen Herausforderung eine große Ehre, diesen, von Peter Schieberle initiierten, zukunftsweisenden interdisziplinären Forschungsansatz als Direktorin des LSB weiterzuverfolgen.

Auf die Frage „Wie ist der Mensch Peter Schieberle?“ bleibt zu antworten, dass ich das Privileg und Vergnügen hatte, zunächst als stellvertretende Direktorin der DFA und später in meiner Funktion als Professorin und leitende Wissenschaftlerin in den USA und Österreich mit einem so ausgezeichneten Wissenschaftler zusammenzuarbeiten. Beeindruckt hat mich aus beruflicher Sicht zum einen seine große wissenschaftliche Expertise, seine Disziplin, seine Standhaftigkeit und Zielstrebigkeit - und seine Fähigkeit, junge Nachwuchstalente für die Wissenschaft zu begeistern. Dankbar bin ihm auch dafür, dass er authentisch mit natürlicher, väterlicher Autorität und Souveränität stets ein Vorbild für mich war und hinter jedem seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer auch den Menschen gesehen hat. Für sie und seine Doktorandinnen und Doktoranden hatte er stets ein offenes Ohr und dies nicht nur bei wissenschaftlichen Fragen. Auch für persönliche Sorgen und Nöte hatte Peter Schieberle als geborener Familienmensch Verständnis und war gegenüber anderen Lebenseinstellungen tolerant. So wurde beispielsweise Frauenförderung schon in frühen Jahren auch ohne Gleichstellungsrichtlinien betrieben: aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass er für werdende und junge Mütter ganz selbstverständlich Lösungen gefunden hat, um die Herausforderung, Beruf und Familie zu vereinen, zu meistern. Peter Schieberle hatte und hat noch immer die besondere Gabe, einem zu vermitteln, als Person und Mensch wichtig zu sein und hat sich stets hinter „sein Team“ gestellt. Bei all‘ seiner Begeisterung für die Wissenschaft war er auch immer ein geselliger Mensch mit Sinn für gute Musik, Genuss und Humor.

Lieber Peter, Deine Arbeiten haben meine Forschung stets inspiriert und Du warst und wirst auch immer ein wissenschaftliches Vorbild für mich sein. Die Worte, mit denen Du mich am 7. Januar 2003 am Leibniz-Institut zur Etablierung der Arbeitsgruppe Physiologie begrüßt hast, gebe ich noch heute an Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler weiter: „Machen Sie doch mal was mit Aromastoffen!“

Von Herzen wünsche ich Dir auch weiterhin viel Lebensfreude und vor allem in diesen Zeiten viel Gesundheit und Zuversicht. Alles Gute zum Geburtstag!

Veronika Somoza, Freising