Forschungsteam identifiziert menschlichen Geruchsrezeptor für Pferdestallgeruch
Freising, 01.08.2023 - Para-Kresol ist eine aromatische Verbindung, die stark nach Pferdestall riecht. Sie trägt in einigen Lebensmitteln zu einem Fehlgeruch bei, ist aber auch als charakteristischer Geruchsstoff in Whiskysorten und Tabak sowie im Urin verschiedener Säugetiere nachweisbar. Ein Forschungsteam unter Führung des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München hat nun herausgefunden, mit welchem Geruchsrezeptor Menschen para-Kresol wahrnehmen.
Para-Kresol (4-Methylphenol) entsteht beim mikrobiellen Abbau bestimmter Aminosäuren, aber auch bei thermischen Abbauprozessen. Infolgedessen ist es in verschiedenen Nahrungsmitteln enthalten und kann unter anderem zu Fehlnoten im Aroma von weißem Pfeffer, Kakao, Raps- oder Olivenöl beitragen. Darüber hinaus ist para-Kresol seit langem sowohl als Lockstoff für Pferde und Rinder als auch Insekten wie Stechmücken, Tsetsefliegen und Pferdebremsen bekannt.
Einem Forschungsteam um Dietmar Krautwurst vom Freisinger Leibniz-Institut ist es nun erstmals mithilfe eines zellulären Testsystems gelungen, den menschlichen Geruchsrezeptor für para-Kresol zu identifizieren. „Hierfür war entscheidend, dass wir dank der exzellenten präparativen und analytischen Arbeiten an unserem Institut die Reinsubstanz zur Verfügung hatten“, berichtet Erstautorin Franziska Haag. „Denn wie wir feststellten, ist handelsübliches para-Kresol durch ein Isomer verunreinigt, das die Untersuchungsergebnisse verfälscht hätte“, erklärt die Wissenschaftlerin weiter.
Über 600 menschliche Geruchsrezeptoren getestet
Die mittels Hochleistungs-Flüssigkeitschromatographie gewonnen Mengen an reinem para-Kresol reichten aus, um ein umfangreiches bidirektionales Rezeptor-Screening durchzuführen. In diesem prüften die Forschenden, welche der über 600 menschlichen Geruchsrezeptorvarianten auf para-Kresol reagieren. Wie das Screening ergab, sprach der Geruchsrezeptor OR9Q2 als einziger auf physiologisch relevante Konzentrationen von para-Kresol an. Anschließend untersuchte das Team, ob der Rezeptor auch noch auf weitere Geruchsstoffe reagierte. Hierzu überprüfte es 176 Substanzen, die als sogenannte Schlüsselgeruchsstoffe maßgeblich das Aroma von Lebensmitteln prägen. Von diesen Stoffen war nur ein weiterer Geruchsstoff, das strukturähnliche 4-Ethylphenol, in der Lage, den Rezeptor signifikant zu aktivieren.
Das Forschungsteam untersuchte daraufhin die Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwischen para-Kresol und tierischen Geruchsrezeptoren, die eng mit dem menschlichen Rezeptor verwandt sind. Wie die Testergebnisse belegen, reagierte der untersuchte Mausrezeptor ähnlich wie der menschliche Rezeptor auf para-Kresol. Der getestete Kuhrezeptor zeigte sogar eine deutlich höhere Empfindlichkeit für die Substanz. Laut Team deckt sich das Ergebnis mit früheren Erkenntnissen, wonach para-Kresol bei Kühen als Pheromon wirkt und bereits in sehr geringen Konzentrationen eine sexuelle Anziehungskraft auf die Tiere ausübt.
Der „Para-Kresolrezeptor“ ist hochgradig selektiv
„Die hohe Selektivität des Geruchsrezeptors OR9Q2 für para-Kresol scheint somit evolutionär konserviert zu sein, was seine doppelte Bedeutung betont: Einerseits als Sensor für den Geruch von Lebens- und Genussmitteln sowie andererseits als Rezeptor für einen Signalstoff, der in der innerartlichen Kommunikation von Tieren eine Rolle spielt. Zudem schließt der Rezeptor eine Lücke im Erkennungsspektrum des stammesgeschichtlich älteren menschlichen Geruchsrezeptors OR2W1, der eine breite Palette strukturell unterschiedlicher Geruchsstoffe, aber kein para-Kresol detektiert“, sagt Studienleiter Dietmar Krautwurst. Er ergänzt: „Abgesehen von diesen spannenden Erkenntnissen, ließe sich das neue Wissen künftig nutzen, um Biotechnologien zu entwickeln, mit denen sich die sensorische Qualität von Lebensmitteln entlang der gesamten Wertschöpfungskette schnell und einfach überprüfen lässt.“
Publikation: Haag, F., Frey, T., Hoffmann, S., Kreissl, J., Stein, J., Kobal, G., Hauner, H., and Krautwurst, D. (2023). The Multi-Faceted Food Odorant 4-Methylphenol Selectively Activates Evolutionary Conserved Receptor OR9Q2. Food Chem 426, 136492. 10.1016/j.foodchem.2023.136492. https://doi.org/10.1016/j.foodchem.2023.136492
Förderung: Die ersten Phasen dieser Forschung wurden teilweise durch ein Kooperationsprojekt mit der Altria Group Inc. in Richmond, VA, USA, finanziert. Gerd Kobal war in der Anfangsphase Mitarbeiter von Altria.
Hintergrundinformationen:
Der Mensch besitzt insgesamt etwa 400 verschiedene Geruchsrezeptorgene, die wiederum über 600 verschiedene Rezeptorvarianten in der Nasenschleimhaut kodieren. Letztere sind für die Wahrnehmung und Unterscheidung verschiedener Gerüche verantwortlich. Es besteht jedoch noch Forschungsbedarf, um die genaue Anzahl und Funktion aller Rezeptorvarianten zu ermitteln. Gegenwärtig ist lediglich für etwa 20 Prozent der menschlichen Geruchsrezeptoren bekannt, welche Geruchsstoffe sie erkennen können.
Das von den Leibniz-Forschenden entwickelte zelluläre Testsystem ist laut Dietmar Krautwurst weltweit einzigartig. Er und sein Team haben die Testzellen genetisch so verändert, dass sie wie kleine Biosensoren für Geruchsstoffe fungieren. Dabei legen die Forschenden genau fest, welche Geruchsrezeptorvariante die Testzellen auf ihrer Oberfläche präsentieren. Auf diese Weise können die Forschenden gezielt untersuchen, welcher Rezeptor wie stark auf welchen Geruchsstoff reagiert. Das Leibniz-Institut verfügt über umfangreiche Geruchsstoff- und Rezeptorsammlungen, die es für seine Forschungsarbeit nutzt.
Kontakte:
Experten-Kontakte:
PD Dr. Dietmar Krautwurst
Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie
an der Technischen Universität München (Leibniz-LSB@TUM)
Lise-Meitner-Str. 34
85354 Freising
Tel.: +49 8161 71-2634
E-Mail: d.krautwurst.leibniz-lsb(at)tum.de
Dr. Franziska Haag
Leibniz-LSB@TUM
Tel.: +49 8161 71-2716
E-Mail: f.haag.leibniz-lsb(at)tum.de
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E-Mail: g.olias.leibniz-lsb(at)tum.de
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Informationen zum Institut:
Das Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München besitzt ein einzigartiges Forschungsprofil an der Schnittstelle zwischen Lebensmittelchemie & Biologie, Chemosensoren & Technologie sowie Bioinformatik & Maschinelles Lernen. Weit über die bisherige Kerndisziplin der klassischen Lebensmittelchemie hinausgewachsen, leitet das Institut die Entwicklung einer Systembiologie der Lebensmittel ein. Sein Ziel ist es, neue Ansätze für die nachhaltige Produktion ausreichender Mengen an Lebensmitteln zu entwickeln, deren Inhaltsstoff- und Funktionsprofile an den gesundheitlichen und nutritiven Bedürfnissen, aber auch den Präferenzen der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgerichtet sind. Hierzu erforscht es die komplexen Netzwerke sensorisch relevanter Lebensmittelinhaltsstoffe entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit dem Fokus, deren physiologische Wirkungen systemisch verständlich und langfristig vorhersagbar zu machen.
Das Leibniz-Institut ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft (https://www.leibniz-gemeinschaft.de/), die 97 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro.
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